Fleisch als Frage von Lebensstil und Religion
„Was und wie ich esse, bestimmt, wer ich bin“, so spitzte Dr. Kai Funkschmidt, wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin, seine Beobachtungen zu. Knapp vierzig Gäste waren auf Einladung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU (EAK), Kreisverband Böblingen, sowie des örtlichen Bundestagsabgeordneten Marc Biadacz und des CDU-Stadtverbandes Herrenberg in das Hotel am Schlossberg in Herrenberg gekommen. Es ging um den komplexen Zusammenhang von Tierschutz, Nahrungsmittelproduktion und Religion. Sagte der Marxist Bertolt Brecht noch „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, so drehe sich die Reihenfolge in manchen Kreisen heute um. In der westlichen Wohlstandsgesellschaft, vor allem in den urbanen Zentren, ginge es nicht mehr um existenzielle Grundprobleme, sondern um Ausdrucksformen der Identität, führte Funkschmidt aus. Alltagsvollzüge wie das Essen würden neuen Regeln unterworfen, an deren Einhaltung die moralische Qualität („Virtue Signalling“) und die Abgrenzung als Gruppe der Gutwilligen hängen. Anstelle der – christlichen – Dankbarkeit für das „täglich Brot“ tritt dann der Kampf, wobei hinter der vordergründigen Forderung nach Fleischverzicht häufig ganz andere Anliegen wie die Überwindung von Marktwirtschaft und Globalisierung stehen. Meist gehe es nicht um die Tiere. Zu denen habe man wegen fehlender eigener Erfahrungen in der Landwirtschaft meist gar kein persönliches Verhältnis. Sondern es geht um die Vergewisserung über die eigene Identität, um die Suche nach Sinn und nach einem Erklärungsmuster für das große Ganze der Welt. Die Aggressivität von Teilen der Veganismus-Bewegung erklärt sich Funkschmidt zufolge auch aus deren ersatzreligiösen Zügen. So werden Bekehrungsgeschichten von Veganern vermarktet; es wird quasi Mission betrieben und der Anspruch erhoben, einen Schlüssel zur Lösung aller Krisen und Probleme in der Hand zu haben. Die „Antispeziestische Aktion“ lehnt sich an die Antifa an und sieht sich legitimiert zur Gewaltanwendung.
Funkschmidt wies auf die Ambivalenz der Industrialisierung in der Land- und Viehwirtschaft hin. Der Hunger wurde in den westlichen Ländern besiegt. Lebenserwartung, Leistungsfähigkeit und Gesundheit haben zugenommen. Es kam aber auch zu einer Entfremdung zwischen Menschen und Tieren. In der Diskussion warben anwesende Landwirte für die Unterstützung der regionalen, kleinen Betriebe. Dies knüpfte an das Grußwort der fachlich zuständigen Staatssekretärin Sabine Kurtz MdL an. Fleisch komme in Deutschland aus eigener Produktion, während Obst und Gemüse überwiegend importiert werden. Die vegane Ernährung basiere häufig auf künstlich erzeugten Produkten und komme nicht ohne ergänzende Vitamin- und Nährstoffzufuhr aus. Funkschmidt plädierte für mehr unideologische Gelassenheit, aber auch mehr Sachkenntnis. Vertreter der Berufsgruppen, die unmittelbar mit der Fleischproduktion zu tun haben, waren anwesend und statt diese anzufeinden praktizierte die CDU den gesamtgesellschaftlichen Dialog.
Christian Herrmann